Im Juni 2011 soll - nach unbestätigten Zahlen - rund jede zweite Apotheke
den neuen AOK-Rabattpartner Betapharm auf Metoprolol-Rezepte gedruckt
haben. Dies sei zu Unrecht geschehen, da von den Apotheken ein anderes
Präparat abgegeben worden sei.
Der Vorwurf der AOK, Apotheker hätten im Juli 30.000 Rezepte nicht richtig
abgerechnet, lenkt nach Auffassung der Freien Apothekerschaft, eines
bundesweiten Zusammenschlusses selbständiger Apothekerinnen und Apotheker,
vom eigentlichen Thema ab.
Zum Hintergrund: Betroffen sind vor allem zwölf PZN (Pharma-Zentral-
Nummern) des Herstellers Betapharm. Das Unternehmen ist der neue
Rabattpartner der AOK für den häufig verordneten Betablocker Metroprolol-
Succinat. Das Präparat wurde für die AOK-Ausschreibung eigens neu ins
Portfolio aufgenommen, es ist noch überhaupt nicht auf dem Markt. Wie
andere Pharmahersteller hat auch Betapharm erhebliche Probleme mit der
Lieferfähigkeit.
Besonders pikant: Die AOK räumt den Pharma-Firmen eine Anlauffrist von vier
Monaten ein, verlangt von den Apothekern aber die sofortige
Vertragserfüllung. Bislang wurde von Betapharm keine einzige Packung
ausgeliefert. Möglicherweise aus Angst vor Retaxierungen haben einige
Apotheken ihre Rezepte dennoch mit dem Rabattpartner bedruckt.
Rund 30.000 - auf den ersten Blick - fehlerhafte Rezepte von 20.000
Apotheken sind nach Ansicht der Freien Apothekerschaft die Folge einer
nicht mehr handhabbaren Flut an Gesetzen, Gesetzesänderungen, Verordnungen
und Rabattverträgen, deren Vorgaben von den Apothekern zum Nulltarif zu
erfüllen sind.
Das seit Jahren angewachsene - und im Jahr 2011 förmlich explodierte -
Daten- und Vorschriftenchaos führt beinahe zwangsweise zu Softwareproblemen,
fehlerhaften Daten, Handhabungen und Ergebnissen. Die Bearbeitung eines
Rezepts ist durch eine Vielzahl von Rabattverträgen, Packungsgrößen-
Verordnungen und zahllose Vorschriften mittlerweile so kompliziert
geworden, dass sie kaum noch fehlerfrei zu bewältigen ist.
Die Freie Apothekerschaft fordert die Politik und die Krankenkassen zu
Gesprächen über diese Missstände auf und bietet ihre Mitarbeit für
konstruktive und sachdienliche Lösungen an. Die deutschen Apotheker und
ihre Mitarbeiter sind nicht mehr bereit, für die massiv erschwerte
Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln weitere Einkommensverluste und
pauschale Kriminalisierung hinzunehmen.
Die Krankenkassen tragen die gesetzliche und vertragliche Verantwortung für
die Erfüllbarkeit der - unverständlicherweise geheimen - Rabattverträge.
Zwar mögen die Rabattverträge zu Einsparungen führen, aber nur zu Lasten
der Patienten und der Apotheken. Besonders kritisch ist außerdem die
Herstellung dieser Arzneimittel zu beleuchten, die aus Kostengründen in
Billigstlohnländer verlagert wurde.
Die AOK schließt einen Rabattvertrag mit Betapharm ab über Medikamente, die
teilweise nicht einmal lieferbar sind. Wenn eines der meist verordneten
Blutdruck-Mittel im Rabattvertrag über Monate hinweg nicht geliefert werden
kann, ist es kein Wunder, wenn Probleme auftauchen. Vor Abschluss von
Rabattverträgen mit Pharma-Unternehmen müssen die Krankenkassen unbedingt
deren Lieferfähigkeit prüfen.
Solange die Krankenkassen ihre vertragliche Verantwortung für die
Erfüllbarkeit nicht wahrnehmen, muss die Erfüllung der patientenfeindlichen
Verträge ausgesetzt werden. Die Freie Apothekerschaft erinnert in diesem
Zusammenhang daran, dass sich die Gesetzlichen Krankenversicherungen
weiterhin beharrlich weigern, das Urteil des Schiedsgerichtes und die damit
verbundene Entlohnung der Apotheken für das Jahr 2010 zu vollziehen.
Die Gesetzlichen Krankenversicherungen können nicht erwarten, dass die
Apotheker weiterhin unentgeltlich zu Lasten der Patienten finanzielle
Vorteile für die Krankenkassen erwirtschaften.
Die Freie Apothekerschaft fordert die Gesetzlichen Krankenversicherungen
auf, die gerichtlich festgesetzte und bislang fehlende Honorierung für das
Jahr 2010 unverzüglich auszuzahlen und die Praxis der Rabattverträge neu zu
überdenken.